Sobald Sie mit Menschen arbeiten, ist Ihr Menschenbild der Ausgangspunkt Ihres Handelns. Mittlerweile gibt es viele verschiedene Menschenbilder. Das systemische Menschenbild ist eines davon.
In meiner Arbeit mit Mitarbeitenden, Klienten und Kunden hat sich das systemische Menschenbild als hilfreich erwiesen. Oelsnitz greift in seinem Buch „Einführung in die systemische Personalführung“ das systemische Menschenbild als Grundlage systemischer Führung auf. Hierbei besteht das systemische Menschenbild aus vier Bereichen, die nun kurz erklärt werden sollen.
Autopoiese
Ohne „Autopoiese“ ist ein systemisches Menschenbild nicht denkbar. Der Begriff Autopoiese stammt aus dem Altgriechischen und lässt sich mit „Selbsterschaffung“ übersetzen. Führungskräfte und Mitarbeitende bilden ein System. Dieses System besteht aus einer engen Sinn- und Wirkgemeinschaft. Das bedeutet letztendlich nichts anderes, als dass man gemeinsam an einem Ziel arbeitet.
Diese Gemeinschaft ist in sich abgeschlossen. Im „systemischen“ wird hierfür der Begriff „operativ geschlossen“ gebraucht. Die Grenzen des Systems werden beispielsweise durch folgende Ausdrücke deutlich: „Wir in der Verwaltung …“, oder „In unserem Team machen wir das so …“. Solche Aussagen machen auch deutlich, dass Systeme sich häufig um sich selber drehen. Durch sie wird ebenfalls einigermaßen deutlich, wenn auch nicht explizit genannt, wer dazugehört und wer nicht. Um den Sachverhalt, dass sich (Sub-)Systeme weitgehend aus sich heraus entwickeln, zu erfassen, wurde der Begriff „Autopoiese“ in der neueren Systemtheorie aufgegriffen.
Diese autopoietische Systeme sind in ihrer Funktion darauf ausgerichtet, sich ständig selbst zu erneuern. Bei „schlechten“ Erfahrungen mit ihrem Verhalten beginnt eine Suche nach alternativen Handlungsmöglichkeiten. Durch das Auffinden solcher Handlungsmöglichkeiten wird das Verhaltensrepertoire des Systems vergrößert.
Geplante Evolution und Koevolution
Der Begriff der Koevolution stammt ursprünglich aus der Biologie und bezeichnet den Prozess wechselseitiger Anpassung zweier stark interagierender Tier- und/oder Pflanzenarten aneinander. Zwei benachbarte Systeme beeinflussen sich gegenseitig und erzeugen somit ein gegenseitiges Feedback. Durch diese Feedbackschleifen entstehen emergente Systeme, die ein Lernen und Evolution auf einer höheren Ebene ermöglichen.
Das bedeutet, dass sich zwei Systeme – Tier- und/oder Pflanzenarten – in ihrer Entwicklung gegenseitig beeinflussen. So passen sich Raubtiere beispielsweise ihrer Umgebung, in der sie Ihre Beutetiere finden an. Pflanzen entwickeln einen ganz bestimmten Duft, um Insekten anzuziehen, die sie bestäuben. In Folge dieser Anpassung entwickeln beide Beteiligten neue Eigenschaften und Strukturen, um ihr Überleben zu sichern. Koevolution zielt also darauf ab, miteinander zu überleben.
Die Koevolution lässt sich, neben dem biologischen Verständnis, auch als gesellschaftliche und ökonomische Wechselwirkung verstehen. In Systemen, wie beispielsweise Teams, entstehen durch die fortwährende, aufeinander bezogene Interaktion der Systemmitglieder Ereignisketten, die in einer höchst individuellen Beziehungsgeschichte münden können. Unternehmen und Mitarbeitende sind aufeinander angewiesen. Das Eine geht nicht ohne das andere.
Neben der engen Verbindung zwischen Unternehmen und Mitarbeitern entsteht auch zwischen Unternehmen und (wichtigen) Kunden eine enge Verbindung. Beide Verbindungen bilden als Systemumwelten eine Einheit und diese Einheit entwickelt sich gemeinsam weiter. Hierbei scheint die Kooperation der einzelnen Systeme, wie auch innerhalb der Systeme, als Ausgangspunkt gemeinsamen Arbeitens vorteilhaft zu sein.
Der Begriff „Koevolution“ führt sehr gut vor Augen, welchen Einfluss unterschiedliche Wissenschaften auf das systemische Denken haben. Dies wiederum beeinflusst damit auch das systemische Menschenbild.
Zirkuläres Denken
Zirkuläres Denken steht dem Ursache-Wirkungs-Denken gegenüber und öffnet zum einen den Blick auf die Einflüsse Dritter. Dritte können sowohl einzelne Personen wie eine Führungskraft auf nächst höherer Ebene oder auch Systeme, wie etwa Kunden oder andere Teams sein.
Zum anderen beleuchtet es die vorhandenen Führungssubstitute, das sind Faktoren, welche die Einwirkung der Führungskraft unnötig oder sogar unmöglich machen. Interventionen an einer bestimmten Stelle können sich auch anderorts auswirken. Oftmals ist auch mit einer verzögerten Wirkung zu rechnen. Beispielhaft ist hier die Elektroindustrie. Ein Problem bei einem Einzelzulieferer kann enorme Auswirkungen auf die Endmontage haben. Ob und wann sich dieses Problem auswirkt, hängt dann eventuell von der Lagergröße ab.
Dem „Zirkulären Denken“ steht das „Kausale Denken“, also ein Denken in einem „Ursache-Wirkungs-Mechanismus“ oftmals entgegen. In vielen Bereichen unseres Lebens benötigen wir ein kausales Denken. Wenn wir beispielsweise den Wasserhahn aufdrehen gehen wir davon aus, dass Trinkwasser herauskommt. Sollte der Wasserhahn hingegen Abwasser freisetzten, würden wir den Klempner rufen.
So ist es letztendlich auch in einem Unternehmen sinnvoll, Dinge wie Produktionsanlage oder Computer zu steuern, dennoch ist es nicht verwunderlich, wenn unsere Steuerungsversuche spätestens dann scheitern, wenn Menschen ins Spiel kommen.
Mit ihnen ziehen Nichtlinearität, Rückkopplungs- und Kippeffekte und Vernetztheit, die sich der direkten Steuerung entziehen, mit ins Unternehmen ein. Dieses führt dazu, dass bereits minimale Veränderungen unvorhersehbare Wirkungen in Gang setzen können.
Dieser Kerngedanke zeigt, wie verwoben unser tägliches Handeln eigentlich ist. Das systemische Menschbild beinhaltet die Verwobenheit stets im Blick zu behalten.
Konstruktivismus
Der Konstruktivismus verabschiedet sich von einer objektiven Realität und setzt an ihre Stelle die Konstruktion einer Realität, welche subjektiv durch einzelne Individuen oder auch Systeme erzeugt wird.
Diese Kognitionen werden von Menschen als Hilfsmittel benötigt, um sich in der Welt zurechtzufinden. „Soziale Phänomene wie Führung, Organisation und Märkte existieren nicht unabhängig von den sie interpretierenden Menschen.“
Sie und ich werden sicherlich einige Gemeinsamkeiten haben, wenn wir über den Begriff Führung sprechen. Gleichzeitig werden wir auch Unterschiede finden. Jeder von uns wird Führung ein wenig anders verstehen. Gerade in dem „ein wenig anders“ kann etwas Stecken, wodurch unsere Führung von Mitarbeitenden vollkommen anders vonstattengeht.
Subjektive Deutungen führen zu realem Verhalten. Früh gelernte Programme, beispielsweise solche, die sich um die Themen „gesehen werden“ oder „Umgang mit Autoritäten“ drehen, springen in strukturähnlichen Situationen wieder an. So haben zahlreiche Verhaltensabläufe und Interaktionsmuster manchmal nichts mit der konkreten Situation zu tun, sondern greifen in ihrem Kern eben auf die gelernten Programme zurück.
Gar nicht selten kommt es zu „Vater-“ oder „Mutterübertragungen“ wenn es um Vorgesetzte geht. Das kann, je nach eigenem Erleben sehr angenehm sein, oder vollends in Chaos oder den Widerstand führen.
Solche Abläufe zeigen sich nicht nur im Verhalten, sie werden auch sprachlich erfasst und gerahmt. „Worte beschreiben demnach nicht nur bestimmte Sachverhalte, sondern bereiten auch ihre Interpretation vor.“ Aus diesem Grund müssten die Absichten, die eine Führungskraft hegt, von den Interpretationen, die beispielsweise im Team oder im Kollegenkreis gegenüber den Absichten entstehen, unterschieden werden.
Auch das systemische Menschenbild ist eine Konstruktion. Entscheiden Sie für sich, ob es hilfreich oder hinderlich ist.
Quellen und weiterlesen
Achouri, C. (2013): Wenn Sie wollen, nennen Sie es Führung.
Arnold, R. (2016): Das Santiago-Prinzip.
Boos, F., Mitterer G. (2019): Einführung in das systemische Management.
Oelsnitz, D. von der (2017): Einführung in die systemische Personalführung.
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